Sokrates und die Stoa
Zwar gehört Sokrates nicht im engeren Sinne zu den Stoikern, doch sein Leben und Wirken wurde zur Inspiration für philosophische Schulen jeglicher Couleur. Auch die Philosophie der Stoa bezieht immer wieder auf den berühmten Athener.
Das Leben des Sokrates
Sokrates war der Sohn des Bildhauers Sophroniskus und der Hebamme Phänareta. Die Berufe seiner Eltern sollten seine Philosophie wie eine feiner Faden durchweben. Geboren wurde er im 4. Jahr der 77. Olympiade zu Athen, nach heutiger Zeitrechnung im Jahre 469 v. Chr.
Sokrates´ Vater wollte ihm die Bildhauerei lehren, aber für den Umgang mit Werkzeugen haben wahre Philosophen nunmal kein Talent. Bis zum Alter 30 von Jahren quälte er sich aus wirtschaftlichen Erwägungen mit dem Behauen von Steinen.
Dann lernte er eine Athenerin mit dem Namen Krito kennen, die ihm als geistige Muse die Augen öffnete. Sie vermittelte ihm den Kontakt zu den Weisen der Zeit, zu Archelaus, Anaxagoras, Prodikus und anderen.
Diese lehrten vor allem, die Natur zu betrachten und zu verstehen. Sokrates aber gab sich damit nicht zufrieden, er wollte nicht die Phänomene der äußeren Welt ergründen, es ging ihm um den Menschen.
Die Physik war für Sokrates ein erster Schritt. Er fragte nach der Bedeutung der Phänomenefür das irdische Leben. Sokrates überschüttete die Naturwissenschaftler mit einer Fülle von Lob zu und kreierte damit seinen eigenen Stil: die „sokratische Ironie“. Cicero sagte später, er habe die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt.
Sokrates und die Sophisten
Als Gegenspieler dienten Sokrates die Sophisten. Sie waren in der athenischen Gesellschaft hoch geachtet, verstanden sie sich doch auf die lebenspraktischen Dinge: Die eloquenten Redner betrieben Schulen und unterrichteten gegen Bezahlung in den Künsten, den Wissenschaften und der Religion. Für Sokrates waren sie eine adäquate Adresse, um die Begriffe von Logik, Wahrheit und Recht abzugrenzen und damit zu schärfen. Die Grundhaltung der Sophisten war simpel gestrickt.
Die Position der Sophisten
Sophisten standen (und stehen heute noch) im Verdacht, Folgendes zu betreiben: mit rhetorischen Mitteln und dem Wissen um die Leichtgläubigkeit der Menschen jedem zu einem persönlichem Vorteil zu verhelfen. Sokrates jedoch hatte nicht den Vorteil des Einzelnen im Sinn, sondern die Definition dessen, was als allgemein als Vernunft betrachtet werden kann.
Sokrates – Weltbürger und Patriot
Sokrates war ebenso Weltbürger wie Patriot. Mit 36 Jahren kämpfte er gegen die Potidäer, die Athen keinen Tribut zollen wollten. Sokrates erwies er sich als sehr tapfer und erwarb die Gunst seiner Athener Mitbürger. Er überlebte die in Athen grassierende Pest, und auch gegen Kälte und andere Äußerlichkeiten erwies er sich als widerstandsfähiug. Glaubt man dem Biographen Diogenes Laertius (nicht zu verwechseln mit Diogenes von Sinope, dem Philosophen „aus der Tonne“), so sollen die Potidäer einen so großen Respekt vor Sokrates gehabt haben, dass sie ihn in der Schlacht nicht angriffen.
Nach dem Feldzug begann Sokrates mit den Athenern zu diskutieren, wo immer er sie antraf. Im Badehaus, bei den Handwerkern, den Künstlern, in Privathäusern oder auf der Straße – Sokrates war omnipräsent. In seinen Diskussionen traf er auch seine beiden Biographen, nämlich Xenophon und Platon. Diesen verdankt die Nachwelt die Aufzeichnungen über Sokrates, der selbst nie etwas Schriftliches verfasste.
Die sokratischen Dialoge
Sokrates´ Dialoge, von Platon meisterhaft geschildert, beginnen stets mit scheinbar belanglosen Fragen. Seine Gesprächspartner tappen in die Falle und finden sich in einem spitzfindigen Gespräch um die wesentlichen Fragen des Menschseins wieder. Sokrates verstand sich – ganz wie seine Mutter – als Geburtshelfer. Es ging es ihm um die Geburt des Nachdenkens.
Jede herrschende Lehre wurde von Sokrates auf Herz und Nieren geprüft. Ob Scharlatane, Sophisten oder stolze Vertreter der Künste und des Handwerks, ihre Meinunge und (Vor-)Urteile wurden von Sokrates auf eine harte Probe gestellt. Dabei war er niemals hochnässig oder gar „wissend“, sondern verbarg seine Fähigkeit zur messerscharfen Analyse hinter Ironie und gespielter Einfalt.
Sokrates und das Orakel von Deplhi
Das Orakel von Delphi erkannte seine Einsicht um die Begrenztheit des menschlichen Verstandes. Es nannte Sokrates als den Weisesten auf Erden, da andere größtenteils „etwas zu wissen glauben, was sie nicht wissen.“ Sokrates aber „sehe wohl ein und gestehe, dass alles, weiß darauf hinausläuft, dass er nichts weiß.
Ich weiß, das ich nichts weiß
Sokrates
Sokrates und Xanthippe
Sokrates wurde schnell über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt. Ein Schüler von ihm war Euklid von Megara (dieser trägt mit dem Mathematiker Euklid von Alexandria nur den Namen gemein). Nun waren die Athener mit Megara verfeindet und hatten es bei Todesstrafe den Megarensern verboten, ihr Gebiet zu betreten. Doch Euklid tarnte sich mit Frauenkleidern, um seinen Lehrer besuchen zu können.
Sokrates lebte äußerlich in Armut, denn anders als die Sophisten wollte er sich nichts für seine Tätigkeit bezahlen lassen. Seiner Frau Xanthippe hatte mit dieser asketische Lebensweise wohl einige Probleme. Xenophon berichtet in seinen Tischgesprächen, was Sokrates auf die Frage erwidert habe, warum er sich eine so wenig umgängliche Frau genommen hat:
Wer mit Pferden umgehen lernen will, der wählt sich zu seiner Übung kein geduldiges Lasttier, sondern ein mutiges Roß, das schwer zu bändigen ist. Ich, der ich mit Menschen umgehen lernen will, habe mir aus eben der Ursache eine Hausfrau gewählt, die unverträglich ist, um die verschiedene Laune der Menschen desto besser ertragen zu lernen.
Sokrates, zitiert nach Xenophon
Sokrates hatte aber selbst allerlei dazu getan, um den häuslichen Frieden zu gefährden: Denn er betrachtete es als höhere Weihe, sich der Philosophie zu widmen und auf den schnöden Gelderwerb zu verzichten. Daher lebte die Familie von Almosen. Dass dennoch eine innige Liebe zwischen den beiden bestand, bezeugt uns Platon in seiner Apologie des Sokrates:
Als sich Sokrates enschließt, den Schierlingsbecher zu trinken, fällt Xantippe in Bestürzung und Trauer. Immer wieder unterbrach er seine Tätigkeiten, um für Athen zu kämpfen.
Platon über Sokrates
Der Feldherr Laches spricht im gleichnamigen Dialog Platons nach einer Niederlage gegen die Böotier voller Bewunderung:
Hätte jedermann seine Pflicht so getan, wie Sokrates, so wäre der Tag gewiß nicht unglücklich für uns gewesen.
Feldherr Laches über Sokrates
Laches spielte dabei nicht nur auf Sokrates´ Mut im Kampf an, sondern ebenso auf seine Umsicht in der Niederlage. Auf dem Rückzug fand Sokrates den verwundeten Xenophon und brachte ihn auf seinen Schultern tragend in Sicherheit.
Sokrates crasht das Theater
Im Theater bevorzugte Sokrates die Stücke des Tragikers Euripides. Als er selbst in einem Stück von Euripides verhöhnt wurde, trat er als Gegenmaßnahme während der Aufführung aus der Masse hervor und stellte sich bis zum Ende an einen exponierten Ort. Den Schauspielern stahl er damit die Aufmerksamkeit des Publikums.
Sokrates und Aristophanes
Nicht jeder Athener war auf Sokrates gut anzusprechen. Im Facebook seiner Zeit, dem Theater, war er öfters unfreiwillig präsent. Aristophanes stand in Verdacht, Sokrates in seinem Stück „Die Wolken“ auf Ansinnen der Sophisten lächerlich gemacht zu haben. 24 Jahre nach der Uraufführung wurde Sokrates zum Tode verurteilt, sicher nicht im Sinne des Dichters Aristophanes.
Sokrates und Alkibiades
Ein guter Freund von Sokrates war Alkibiades, ein hübscher junger Mann mit feurigem Temperament. Diese Freundschaft musste später dafür herhalten, die Anklage gegen Sokrates zu untermauern, wurde er doch, da er den Umgang mit Jüngeren pflegte, zum „Verderber der Jugend“ erklärt.
Sokrates vor Gericht
Anliegen des Sokrates war es, die Menschen täglich besser zu machen. Politik war dabei zwar nicht seine ursprüngliche Sache, und doch griff er sehr vehement in das öffentliche Geschehen ein. Als die Athener bei den Arginusinischen Inseln die Spartaner besiegt hatten, kam ein Unwetter auf und hinderte die Befehlshaber der siegreichen Athener daran, Schiffbrüchige zu retten. Sokrates hatte bei einem Prozess um dieses Ereignis den Vorsitz und sah sich einer aufgepeitschten Menge gegenüber, die die Strategen wegen unterlassener Hilfeleistung zum Tode verurteilen wollte. Dabei stellte er sich gegen die Eiferer und alle Drohungen, die er von der Volksmenge erhielt. Genützt hat es den Verurteilten freilich nichts, denn der Eifer behielt die Oberhand. Sokrates musste zusehen, wie sich die Republik selbst schadete – aber das Ergebnis eines rechtsstaatlichen Prozesses war er trotzdem bereit anzuerkennen, sei es nicht nur gegen die eigene Überzeugung sondern sogar gegen die eigene Person gerichtet.
Sokrates als Angeklagter
Im Jahr 399. v. Chr. wird Sokrates wird angeklagt, die Götter der Polis Athen (dem Stadtstaat Athen) nicht anzuerkennen und die Jugend zu verderben. Er wird zum Tod durch den Schierlingsbecher verurteilt. Fluchtpläne seiner Freunde schlägt er aus. Nach einem letzten philosophischem Beisammensein trinkt er den Giftbecher.
Sokrates trinkt den Becher
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Hinweis: Der Text folgt der Schleiermacher-Uebersetzung von Platons „Apologie des Sokrates“.
Sokrates nahm Abschied von den Freunden und ging in ein Gemach, um zu baden, und Kriton begleitete ihn; uns aber hieß er dableiben. Wir blieben also und redeten untereinander über das Gesagte und überdachten es wieder; dann aber auch wieder über das Unglück klagend, das uns nun getroffen hatte, ganz darüber einig, dass wir nun, gleichsam des Vaters beraubt, als Waisen das übrige Leben hinbringen würden. Nachdem er nun gebadet und man seine Kinder zu ihm gebracht hatte – er hatte nämlich zwei kleine Söhnlein und einen größern- und die ihm befreundeten Frauen gekommen waren, sprach er mit ihnen in Kritons Beisein, und nachdem er ihnen aufgetragen, was er wollte, hieß er die Weiber und Kinder wieder gehen; er aber kam zu uns. Und es war schon nahe dem Untergange der Sonne; denn er war lange drinnen geblieben.
Der Tod des Sokrates
Und als er aus dem Bade gekommen, setzte er sich und hatte noch nicht viel seitdem gesprochen, da kam der Diener der Elfmänner, stellte sich zu ihm und sagte: „Sokrates, über dich werde ich mich nicht zu beklagen haben wie über andere, dass sie mir böse sind und mir fluchen, wenn ich ihnen ansage, das Gift zu trinken auf Befehl der Oberen. Dich aber habe ich auch sonst schon in dieser Zeit als den Edelsten, Sanftmütigsten und Trefflichsten von allen erkannt, die sich jemals hier befunden haben, und auch jetzt weiß ich sicher, dass du mir nicht böse sein wirst; denn du weißt wohl, wer schuld daran ist. Nun also, du weißt ja, was ich dir anzusagen gekommen bin. Lebe wohl und suche so leicht als möglich zu tragen, was nicht zu ändern ist!“ Da weinte er, wendete sich um und ging. Darauf sah Sokrates ihm nach und sprach: „Auch du lebe wohl, und auch wir wollen so tun!“ Und zu uns sagte er: „Wie fein doch dieser Mensch ist! So ist er die ganze Zeit mit mir umgegangen, hat sich bisweilen mit mir unterredet und war der beste Mensch; und nun wie aufrichtig beweint er mich! Aber wohlan denn, Kriton, lasst uns ihm gehorchen, und bringe einer den Gifttrank, wenn er schon gerieben ist; wo nicht, so soll ihn jener reiben!“
Kriton: „Aber mich dünkt, Sokrates, die Sonne scheint noch an die Berge und ist noch nicht untergegangen. Und ich weiß, daß auch andere erst ganz spät getrunken haben, nachdem es ihnen angesagt worden, und sie haben noch gut gegessen und getrunken, ja einige haben gar noch ihre Freunde zu sich kommen lassen, nach denen sie Verlangen hatten.“
Sokrates: „Ganz recht, lieber Kriton, hatten jene, so zu tun, wie du sagst; denn sie meinten, etwas zu gewinnen, wenn sie so täten; und ganz recht habe auch ich, nicht so zu tun, — denn ich meine, nichts zu gewinnen, wenn ich um ein weniges später trinke, als nur, dass ich mir selbst lächerlich vorkommen würde, wenn ich so am Leben klebte und sparen wollte, wo nichts mehr ist. Also geh, folge mir und tue nichts anderes!“
Darauf winkte denn Kriton dem Knaben, der ihm zunächst stand, und der Knabe ging hinaus, und nachdem er eine ganze Zeit weggeblieben war, führte er endlich den Diener herein, der ihm den Trank reichen sollte, den er schon zubereitet im Becher brachte. – Als nun Sokrates den Menschen sah, sprach er: „Nun, mein Bester, du verstehst es ja, wie muss man es machen?“ – „Nichts weiter“, sagte jener, „als, wenn du getrunken hast, herumgehen, so lange bis dir die Schenkel schwer werden, und dann dich niederlegen, dann wird es schon wirken.“ Damit reichte er dem Sokrates den Becher, und dieser nahm ihn, und ganz getrost, ohne im geringsten zu zittern oder Farbe und Gesichtszüge zu verändern, sondern, wie er sonst pflegte, ganz gerade den Menschen ansehend, fragte er ihn: „Was meinst du, darf man von diesem Trank jemandem eine Spende weihen? Darf man eine machen oder nicht?“ – „Wir bereiten eben nur so viel, Sokrates“, sagte jener, „als wir glauben, dass hinreichend sein wird.“ – „Ich verstehe“, sagte Sokrates. „Beten aber darf man doch zu den Göttern, und man muss es ja, dass die Wanderung von hier dorthin glücklich sein möge, weshalb denn auch ich hiermit bete. Und so möge es geschehen!“
Und wie er dies gesagt, setzte er an, und ganz frisch und unverdrossen trank er aus. Und von uns waren die meisten bis dahin ziemlich imstande gewesen, sich zu beherrschen, dass sie nicht weinten; als wir aber sahen, dass er trank und schon getrunken hatte, da – nicht mehr. Und auch mir selbst flössen die Tränen mit Gewalt, und nicht nur tropfenweise, so dass ich mich verhüllen musste und mich ausweinen, nicht über ihn jedoch, sondern über mein eigenes Schicksal, dass ich nun eines solchen Freundes beraubt werden sollte. Kriton war noch eher als ich aufgestanden, weil er nicht vermochte, die Tränen zurückzuhalten. Apollodoros aber hatte schon früher nicht aufgehört zu weinen, und nun brach er völlig aus, weinend und unwillig sich gebärdend, und es war keiner von allen Anwesenden, den er nicht durch sein Weinen erschüttert hätte, außer Sokrates selbst; der aber sagte: „Was macht ihr doch, ihr wunderlichen Leute! Ich habe vorzüglich deswegen die Weiber weggeschickt, damit sie dergleichen nicht tun möchten; denn ich habe immer gehört, man müsse unter guten Zeichen sterben. Also haltet euch still und standhaft!“ Als wir das hörten, schämten wir uns und hielten inne mit Weinen. Er aber ging umher, und als er merkte, dass ihm die Schenkel schwer wurden, legte er sich gerade hin auf den Rücken; denn so halte es ihn jener Mensch geheißen. Darauf berührte ihn dieser, der ihm das Gift gegeben hatte, von Zeit zu Zeit und untersuchte seine Füße und Schenkel. Dann drückte er ihm den Fuß stark und fragte, ob er es fühle; er sagte:“Nein.“
Und darauf die Knie, und so ging er immer höher hinauf und zeigte uns, wie er allmählich erkaltete und erstarrte. Darauf berührte er ihn noch einmal und sagte, wenn es ihm bis ans Herz komme, dann werde er tot sein. Nun war ihm schon fast alles um den Unterleib her kalt, da enthüllte er sich noch einmal – denn er lag verhüllt und sagte seine letzten Worte:
„Oh Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, entrichtet ihm den und versäumt es ja nicht!“ . „Das soll geschehen“, sagte Kriton, „siehe aber zu, ob du noch sonst etwas zu sagen hast.“ Als Kriton dies fragte, antwortete er aber nicht mehr, sondern bald darauf zuckte er, und der Diener deckte ihn auf: da waren seine Augen gebrochen. Als Kriton das sah, schloss er ihm den Mund und die Augen.